INVESTIGADORES
SANCHEZ Dario Nestor
libros
Título:
Eliten und Kultur. Geschichte der römischen Literaturszene (240 v. Chr. – 117 n. Chr.)
Autor/es:
DARÍO N. SÁNCHEZ
Editorial:
Rudolf Habelt Verlag
Referencias:
Lugar: Bonn - Alemania; Año: 2010 p. 450
Resumen:
Die Entwicklung einer Literaturszene war ein zentrales Ereignis in der römischen Geschichte, das vor allem die römische Gesellschaft der späten Republik und der Kaiserzeit in vielerlei Hinsicht prägte. Während der mittleren Republik spielte Literatur im kulturellen Leben der Römer kaum eine Rolle und sogar nach der Entstehung einer lateinischen (schriftlichen) Literatur galt eine schriftstellerische Tätigkeit als einer Person gehobenen Standes unwürdig und gehörte nicht zu den legitimen Betätigungsfeldern römischer Aristokraten. Die lateinische Literatur war also ursprünglich die Schöpfung von Fremden niedrigen Status’, die dank ihrer Kenntnis der hellenistischen Kultur die Gattungsformen der griechischen Literatur der lateinischen Sprache anpassten. Ab dieser Zeit begann jedoch ein allmählicher Aristokratisierungsprozess der Literatur in Rom, der den sozialen Wert der Literatur in der römischen Gesellschaft radikal veränderte. Bei diesem Aristokratisierungsprozess der Literatur in Rom spielten unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Im 2. Jh. v. Chr. verlieh das Eindringen des Hellenismus der Literatur einen neuen Stellenswert und machte sie zu einem normalen Bestandteil des Lebens der Mitglieder der römischen Oberschicht. In der späten Republik trug die politische Krise des römischen Staates zur Aufwertung der Literatur bei, denn je schwieriger und gefährlicher die traditionelle Beschäftigung mit der Politik wurde, desto mehr Mitglieder der Oberschicht suchten in literarischen Tätigkeiten einen Ersatz für die verlorenen Möglichkeiten im römischen Staatsleben. Die Konsolidierung der Alleinherrschaft und die neue untergeordnete Rolle der Aristokratie im gewandelten Gemeinwesen gaben schließlich in der augusteischen Zeit und in der Kaiserzeit schriftstellerischen Tätigkeiten eine neue Bedeutung als Betätigungsfeld römischer Oberschichtmitglieder. Die Bedeutung der genannten Faktoren beim Aufwertungsprozess der Literatur in der römischen Geschichte wurde zwar in der Forschung erkannt, die zentrale Rolle, die dabei andere Ursachen spielten, wird hingegen in der Regel nicht berücksichtigt. Die soziale Aufwertung der Literatur in Rom war nicht nur das Resultat verschiedener kurzfristiger Prozesse. Die Aufwertung der Literatur war auch das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung, die in allen hier untersuchten Perioden einen wesentlichen Beitrag leistete, nämlich die Entstehung, Expansion, Konsolidierung und Strukturierung einer römischen Literaturszene als sozial anerkanntes „Feld“ literarischer Tätigkeit, als „Raum“ des Kontaktes zwischen Autoren und Publikum und der Verbreitungsformen literarischer Schöpfungen. Der hohe Wert der Literatur in der augusteischen Zeit und in der Kaiserzeit wäre z.B. ohne die Anerkennung und Bekanntheit der römischen Autoren, welche u. a. das Wachstum des Lesepublikums, die neue Rolle des Buchhandels und die Einführung der öffentlichen Rezitationen ermöglichten, undenkbar. Die Veränderungen in der Zusammensetzung der römischen Eliten stellen eine weitere bedeutsame Ursache der Aufwertung der Literatur in der römischen Gesellschaft dar, die bisher in der Forschung keine Aufmerksamkeit gefunden hat. Dies ist vor allem in der Kaiserzeit sichtbar: Das Aussterben der alten republikanischen Adelsgeschlechter und die Assimilation von Mitgliedern der lokalen Oberschichten aus Italien und den Provinzen, zuerst vor allem den westlichen, veränderte die Kapitalstruktur der Mitglieder der römischen Eliten. Die Aufsteiger hatten in der Regel eine viel geringere Akkumulation von politischem und sozialem Kapital als ihre aristokratischen Vorgänger, ihnen blieb folglich die Akkumulation von kulturellem Kapital als eine der einfachsten Möglichkeiten, ihre Defizite zu kompensieren. Dies erklärt die Tatsache, dass die große Mehrheit der bedeutenden Autoren dieser Periode zur Gruppe von Aufsteigern aus Italien und den westlichen Provinzen gehörte. Der neue soziale Wert von Literatur und literarischem Erfolg in der Kaiserzeit erklärt die Entwicklung in dieser Periode von unterschiedlichen Strategien, welche den Mitgliedern der Eliten weitgehend die Kontrolle über die Literaturszene garantierten. Die wesentliche Rolle, welche die sozialen Beziehungen eines Autors beim Erfolg oder Scheitern seiner Werke spielten, wurde in der Forschung ebenfalls kaum beachtet, sie ist dennoch eine der zentralen Eigenschaften des römischen Literaturbetriebs der Kaiserzeit. Der hohe soziale Wert der Literatur blieb darüber hinaus während der Kaiserzeit nicht auf die römischen Eliten beschränkt; auch für die lokalen Eliten der westlichen Provinzen und für viele Individuen niedrigen Status’ war literarische Bildung ein wichtiges Zeichen von Vornehmheit. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, dass man aus der Analyse zahlreicher, in diesem Zusammenhang in der Regel nicht berücksichtigter Inschriften und Grabsteinreliefs gewinnt.